Begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters – wie muss ich vorgehen?
Expertise 01.12.2021
Krankheitsbedingte Absenzen am Arbeitsplatz nehmen laut Versicherungsstatistiken deutlich zu. Auffallend ist dabei, dass immer mehr Arbeitgeber beklagen, dass sich ihre Mitarbeiter Arztzeugnisse erschleichen (sog. Gefälligkeitszeugnisse) und ihre Arbeitsunfähigkeit fingieren. Es geht dabei nicht um leichte „Schummeleien“, sondern um Fälle des offensichtlichen Missbrauchs. Klassisches Beispiel: Der gekündigte Mitarbeiter reicht ein Arztzeugnis ein (Psyche), ist aber schon bei einem anderen Betrieb für eine ähnliche Stelle am Probearbeiten. Dieser Mitarbeiter verfolgt einzig die Absicht, seine Kündigungsfrist und somit auch seinen Lohnanspruch zu verlängern.
Der nachstehende Text bezieht sich nur auf Sachverhalte, wo sich solche missbräuchlichen Intentionen klar manifestieren. Wir möchten keinesfalls suggerieren, dass Erkrankungen der Mitarbeiter mit betrügerischen Absichten erfolgen bzw. pauschal zu hinterfragen sind.
In solchen Fällen steht der Arbeitgeber regelmässig als Verlierer da. Er muss weiter Lohn zahlen (zusätzlich für die Ersatzkraft) und kann kaum auf Unterstützung von aussen zählen. Sein Krankentaggeldversicherer wird sich erst dann einschalten, wenn die ausgewiesene Arbeitsunfähigkeit die in der Police festgesetzte Wartefrist übersteigt, mit einer längeren Krankheit zu rechnen ist und der betroffene Mitarbeiter einer ärztlichen Überprüfung einwilligt. Mit eigenen Mitteln den Gegenbeweis anzutreten (ärztliche Zweitmeinung / Rechtsverfahren), ist mit einem unverhältnismässig hohen zeitlichen- und finanziellen Aufwand verbunden. Der Ausgang eines allfälligen gerichtlichen Prozesses, wo der Arbeitnehmer generell in der besseren Position ist, ist für den Arbeitgeber nicht abzuschätzen. Darauf spekuliert der Arbeitnehmer in der berechtigten Hoffnung, dass der Arbeitgeber aus Kostengründen keine Schritte unternimmt, um den Sachverhalt zu klären.
Wir empfehlen
- Eine klare und strenge Haltung im Betrieb zu repräsentieren, welche die Mitarbeiter möglichst davon abschrecken soll, überhaupt eine Arbeitsunfähigkeit vorzutäuschen.
- Im Missbrauchsfall eine rasche Handhabe durch den Einsatz eines Vertrauensarztes, der nicht wie üblich die ganze Krankheitsakte neu untersucht (sehr kostspielig), sondern durch eine einmalige Intervention den Mitarbeiter von seiner missbräuchlichen Absicht abzubringen versucht.
Die von uns vorgeschlagene Vorgehensweise garantiert keinen Erfolg. Wer das System arglistig umgehen will und sich dabei taktisch klug verhält, wird sich unter dem Deckmantel des Arztzeugnisses in aller Regel durchsetzen können. Dies kann für den Arbeitgeber sehr frustrierend sein. Der Mitarbeiter soll sich aber sein Vorhaben «zweimal» überlegen müssen. Reicht der Mitarbeiter tatsächlich ein Gefälligkeitszeugnis ein, dann soll er zumindest in eine unangenehme Situation gebracht werden, die darauf abzielt, sein Unterfangen rasch und kostengünstig zu bremsen.
Abschreckung durch die Unternehmenskultur & Arbeitsvertrag
Dass der erwähnte Missbrauchsfall nicht geduldet und einfach hingenommen wird, muss im eigenen Betrieb zu spüren sein. Diese Haltung ist offen zu demonstrieren, von Beginn weg (Einstellungsgespräch), aber auch im laufenden Betrieb. Eine Anpassung der Arbeitsverträge wird hierfür notwendig. Nach Rücksprache mit der Orion Rechtschutzversicherung und auf der Grundlage von Art. 26 Abs. 2 und 3 L-GAV (Stand 1. Januar 2017), können folgende Klauseln sinngemäss übernommen werden (bzw. den bestehenden Mitarbeitern als Nachtrag zur Unterschrift abgegeben werden):
Funktion: Zur primären Tätigkeit (bspw. «Koch») hinzufügen: Kann auch für übrige im Zusammenhang mit dem Betrieb stehende Funktionen eingesetzt werden.
Vertrauensarzt: «Bestehen Zweifel an der Richtigkeit eines Arztzeugnisses und gibt es dafür sachliche Gründe oder objektive Anhaltspunkte, dann wird der Arbeitgeber von seinem Recht nach Art. 26 Abs. 3 L-GAV Gebrauch machen und den Arbeitnehmer, auf eigene Kosten, zu einem Vertrauensarzt schicken. Der Vertrauensarzt wird hiermit berechtigt, mit dem Arbeitnehmer ein detailliertes Arztzeugnis aufzunehmen und dieses direkt dem Arbeitgeber und seinem Krankentaggeldversicherer zuzustellen. Verweigert der Mitarbeiter den Besuch beim Vertrauensarzt trotz entsprechender Abmahnung, kann der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung einstweilen einstellen.»
Abschreckung durch den Vertrauensarzt & das detaillierte Arztzeugnis
Wird vom Angestellten trotzdem ein vermeintliches Gefälligkeitszeugnis eingereicht, muss umgehend gehandelt werden. Dies setzt voraus, dass die Betriebsleitung/-führung über die notwendigen Schritte instruiert ist. Der nachstehend erwähnte Arzt befindet sich in der Stadt Zürich. Wer nicht in dieser Region tätig ist, kann mit der Macam AG Kontakt aufnehmen, um eine passendere Anlaufstelle zu suchen.
Dr. med. Frank Wyler, Facharzt FMH für Allgemeinmedizin, der für div. Versicherungsgesellschaften als Vertrauensarzt eingesetzt wird, hat sich bereit erklärt, auch für die Pool-Mitglieder der Macam AG in dieser Funktion zur Verfügung zu stehen. Mit ihm kann bei Erhalt des Gefälligkeitszeugnisses sofort Kontakt aufgenommen werden, um den betroffenen Mitarbeiter für einen Arzttermin anzumelden. Dr. Wyler wird den Mitarbeiter innert weniger Tage zur Konsultation aufbieten und diesen innerhalb kurzer Zeit kritisch zu seinem Gesundheitszustand befragen. Er wird weder eine umfassende medizinische Untersuchung vornehmen, noch die gesamte Krankheitsakte des Mitarbeiters durchleuchten. Vielmehr ist das Ziel seiner Erhebung das sog. detaillierte Arztzeugnis.
Für die Ausstellung eines solchen Zeugnisses muss der Arbeitgeber dem Arzt zwingend vorgängig eine Arbeitsplatzbeschreibung zukommen lassen. Der Arzt beurteilt dann aufgrund der Beschreibung, welche Tätigkeiten der Mitarbeitende konkret noch erbringen kann, was er nicht und was er in welchem Ausmass tun darf. Es geht somit nicht um eine med. Diagnose, sondern um den detaillierten Grad der Arbeitsunfähigkeit. Ist bspw. der oben bei den Vertragsklauseln erwähnte Koch, der auch für übrige im Zusammenhang mit dem Betrieb stehende Funktionen eingesetzt werden kann, wirklich zu 100% arbeitsunfähig, oder kann er doch noch zu 30% im Büro aushelfen?
Dass der Arbeitgeber nicht primär das Interesse verfolgt, unter dem angeschlagenen Klima, den Koch zu 30% in seinem Büro arbeiten zu lassen, ist klar. Gleiches gilt aber auch im Umkehrschluss für den Mitarbeiter, der sich in unerwarteter Weise vor veränderten Tatsachen sieht.
Das detaillierte Arztzeugnis wird dem Mitarbeiter direkt durch Herrn Wyler zugestellt, mit dem Hinweis, dass ebenfalls sein Arbeitgeber und dessen Versicherung eine Kopie erhalten. Auch wenn es nicht das ursprüngliche Arztzeugnis umzustossen vermag, so besteht die Hoffnung, dass es den Mitarbeiter dazu bewegt, mit dem Arbeitgeber eine gütliche Einigung über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu treffen.
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Malick Gueye
Master of Law (MLaw)